Experiment Fermentation

Gemeinsam mit einigen anderen in unserer Food Coop habe ich mich einem „solidarischen Landwirtschaftsbetrieb“ angeschlossen, der uns bei jedem Treffen mit unseren Ernte-Anteilen beliefert. Bauer Rudi Hoheneder hat unsere Abnahmegarantie und bekommt einen monatlichen Fixbetrag, und wir bekommen alles was sein Hof hergibt. Und das sind jetzt im Winter eben Kraut und Rüben.¹

Natürlich lieben wir Kraut und Rüben, sonst hätten wir uns erst gar nicht darauf eingelassen, aber bei den schwarzen Rettichen sind schon vereinzelt Staus zu beobachten. So habe ich mir gedacht, ich mache es Rudis Kollegin Greti Mayer nach und setze den kostbaren Überfluss zur Fermentation an.²

In meinen Kochbüchern und im Internet habe ich viele Rezepte gefunden.³ Schwarzer Rettich mit Vanille und Zimt erscheint mir doch ein wenig gewagt, und so habe ich mich für die unverfängliche Kombination Rettich + Rote Rübe + Steckrübe entschieden.

Hier alle Zutaten:

  • ca. 500 g Schwarzer Rettich + 350 g Rote Rüben und Steckrüben (gesamt 850 g)
  • 4 %ige Salzlake: 40 g Salz in 1 Liter Leitungswasser auflösen. (Üblicherweise verwendet man eine 5 %ige Lake, aber da ich Schwarzen Rettich verwende und dieser zuvor mit Salz bearbeitet wird, mische ich die Lake dünner.)
  • Behälter: Früher nahm man Holzfässer. Wer keines hat, kann einen Steingut-Gärtopf mit Wasserrille nehmen. Wer nicht mal einen Steingut-Gärtopf mit Wasserrille hat, kann ein Glas verwenden, am besten mit Bügelverschluss. Die sind so gemacht, dass Überdruck entweichen kann, aber kein Sauerstoff ins Glas gelangt.

Ablauf:

  1. Glas mit heißem Wasser reinigen
  2. Lake vorbereiten
  3. Die Rüben waschen – nicht mit heißem Wasser, ohne Spülmittel. (Nicht schälen! An der Schale befinden sich die nötigen Bakterien. Alternativ kann sie mit ins Glas gelegt werden.)
  4. Rettiche klein raspeln oder fein hobeln
  5. 2 EL Salz untermischen und eine halbe Stunde „weinen“ lassen. (dazwischen durchkneten)
  6. Noch einige Minuten kneten und austretende Flüssigkeit abgießen. Von den 500 g sind jetzt nur noch 290 g übrig.
  7. Rote Rüben und Steckrüben ebenfalls zerkleinern und zum Rettich mischen. (dies stellt sich als gar nicht so einfach, und ich nehme es nicht so genau, wie man im Bild sieht.)
  8. in die Gläser füllen, höchstens bis 2 cm unter dem Glasrand
  9. Mit Salzlake bedecken – sie sollte 1 cm über dem Gemüse stehen, und 1 cm unter dem Glasrand. Ich brauche nur 600 der vorbereiteten 1.000 ml.
    Leider erweist es sich in diesem Fall als unmöglich, das Gemüse unter Wasser zu drücken. Mir ist schleierhaft, wie man das fein geriebene Gemüse davon abhalten soll, zwischen den Gewichten hindurch nach oben zu schwimmen. Ich hoffe auf das Beste.
  10. Das Gemüse mit einem ausgekochten Gegenstand beschweren, damit es nicht obenauf schwimmt; sonst könnten Fäulniserreger Fuß fassen.
    Der Gegenstand kann aus Glas, Stein oder Keramik, aber keinesfalls aus Metall bestehen.
    Ich verwende zwei kleine gläserne Weck-Deckel; die mittelgroßen passen leider nicht durch die Öffnung. Es zeigt sich, dass die eckige Form des Fido-Glases ungünstig ist, weil die runden Gemüse-Beschwerer natürlich nicht in die Ecken reichen.
  11. Das Glas verschließen und bei Zimmertemperatur stehen lassen. Zur Sicherheit auf einen Untersetzer stellen, weil Flüssigkeit überfließen kann. Die ersten Tage der Fermentation sind Sturm-und-Drang-Zeit, es entweicht einiges an Gasen.

Das Gemüse
… muss unbedingt biologisch sein. Konventionell gedüngtes Gemüse reichert vermehrt Stickstoff-Verbindungen an, die die Milchsäure-Gärung gefährden.

Das Salz
… muss unraffiniert und frei von Zusatzstoffen sein.

Das Wasser
… darf nicht gechlort sein. Doch das ist bei österreichischem Leitungswasser – außer in seltenen Ausnahmefällen – ohnehin der Fall.

Bakterien im Essen – ??
Wir brauchen Bakterien! Das habe ich gleich im ersten Studienabschnitt gelernt, in den mikrobiologischen Übungen am Wiener Hygieneinstitut bei Dr. Manafi. Bakterielle Aktivität ist ein weitgehend verloren gegangener Wert in unserer Ernährung! Ursprünglich sprach man stets von sekundären Pflanzenstoffen, doch korrekterweise sollte von sekundären Lebensmittelinhaltsstoffen die Rede sein. Denn es gibt auch tierische: und zwar in fermentierten Milchprodukten. Die verdanken ihre gesunderhaltenden Effekte den Milchsäurebakterien, und ebendiese kommen beim Fermentieren von Gemüse zum Einsatz. (Und überhaupt gibt es auch sekundäre Pilzstoffe! Denn Pilze sind ja weder Pflanzen noch Tiere.)

Das fermentierte Gemüse ist aber nicht nur gesundheitlich, sondern auch kulinarisch „veredelt“. Es trägt – neben den Aromen des Ausgangsmaterials – viele neue Facetten, die über salzig und sauer weit hinaus gehen.

Rolle und Ansprüche von Milchsäurebakterien
Fermentation bedeutet, organische Materie mithilfe von Enzymen zu verändern. In diesem Fall geht es um Milchsäuregärung, wir benötigen also Milchsäurebakterien. Sie knabbern die (für uns unverdaulichen) Zellulose- und sonstigen Fasern in den Rüben an, verdauen sie und scheiden u.a. Milchsäure aus. So wird bei fortlaufender Fermentation zunehmend Säure angereichert, der pH-Wert sinkt. Die Milchsäurebakterien stört das nicht, andere Bakterien schon. Nachdem andere Bakterien hier unerwünscht sind, kommt uns das sehr zupass, denn die Milchsäurebakterien schaffen sich einen Lebensraum, in dem andere Mikroorganismen absterben. Die Milchsäurebakterien konservieren sich ihr Medium also selbst.

So wird die Gewebsstruktur gelockert, das Gemüse mürb und weich, während der Genuss von fermentiertem Gemüse in uns das Gegenteil bewirkt: Aus dem Gemüse werden reichlich Mineralstoffe und bioaktive Pflanzenstoffe verfügbar, die gewebsfestigend wirken! (Stichwort Cellulite) Das ist noch längst nicht alles – man müsste ein Buch schreiben über all die Vorzüge von Fermentiertem.

Milchsäurebakterien brauchen kein Salz zum Leben, aber sie vertragen es viel besser als andere Bakterien. Indem wir das Gemüse mit Salzlake ansetzen, werden also andere Keime von vorneherein ausgeschaltet.

Zeit des Wartens
Und jetzt hoffe ich, dass die Mühe nicht umsonst war – trotz aufschwimmender Rüben-Teilchen. Fortsetzung folgt!

Fermentieren_5

¹ Für einen kleinen Aufpreis bekommen wir auch „Wintergrün“, das sind würzige Asia-Salate und anderes frosthartes Blattgemüse.
² Greti Mayer bietet auch Fermentations-Kurse an! Nur finde ich dafür grad nicht die Zeit.
³ Sehr empfehlenswert das Buch der Ernährungswissenschafterin Rosemarie Zehetgruber: Praxishandbuch Natürlich Konservieren

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